Klimazukunft

Klimawandel in München: Zukunftsforscher im Interview

25.03.2021 | Wie wird das Wetter? Diese Frage wird uns in Zukunft noch viel stärker beschäftigen, sagt Risikoforscher Prof. Dr. Matthias Garschagen. Der Klimawandel wirkt sich auch auf München aus – aber wir können einiges dafür tun, damit wir weiter gerne in der Stadt leben.

Interview mit dem Risikoforscher Prof. Dr. Matthias Garschagen

Welche Folgen hat der Klimawandel in Städten für Infrastruktur und Lebensqualität? Welche Maßnahmen können Kommunen ergreifen, um ihren Bewohner*innen die Anpassung an extreme Wetterverhältnisse zu erleichtern? Und wie kann Umweltschutz dazu beitragen, den Klimawandel in der Stadt zu bremsen?

Wir haben Prof. Dr. Matthias Garschagen, Risikoforscher und Experte für Mensch-Umwelt-Beziehungen am Lehrstuhl für Anthropogeographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), um Antworten gebeten:

Prognosen zufolge wird man den Klimawandel im Jahr 2050 noch deutlicher spüren. Auf was wird sich München einstellen müssen?

Zum Beispiel auf extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen oder Starkregen. Damit können sogar unmittelbare Gefahren für unsere Gesundheit einhergehen, die sich auch auf unser alltägliches Leben oder den Umgang miteinander auswirken.

An was denken Sie da zum Beispiel?

Das beginnt bei vermeintlich leichten Themen wie „Kann ich bei 40 Grad noch Joggen gehen oder im Büro sitzen?“ Bis hin zur Frage, ob ich es noch mitbekomme, wenn meine alte Nachbarin bei diesen Temperaturen in ihrer engen Dachgeschosswohnung leidet, aber vor der Hitze in der Stadt nicht flüchten kann.

„Risikotrends“ nennen Sie die Auswirkungen des Klimawandels, die Sie erforschen. Was steckt dahinter?

Klimawandel und gesellschaftliche Veränderungen sind miteinander verzahnt: Je älter oder auch je ärmer die Bevölkerung ist, desto verwundbarer ist sie. Nicht jeder kann es lange an einer Bushaltestelle ohne Schatten aushalten oder sich eine großzügige, gut durchlüftete Wohnung leisten. Diese Perspektive müssen wir einnehmen, wenn wir die Stadt als Ganzes resilienter, d.h. widerstandsfähiger, gegen die Risiken des Klimawandels machen wollen.

Welches konkrete Hitzerisiko hat die Stadt München im Jahr 2050?

Der Deutsche Wetterdienst geht davon aus, dass wir bei einem mittleren Emissionsszenario bis dahin im schlimmsten Fall eine Verdopplung der heutigen Anzahl an Sommertagen mit Temperaturen über 25 Grad erleben werden. Bei Hitzewellen kann somit auch die Anzahl an sehr heißen Tagen mit Temperaturen über 30 Grad sowie an „Tropennächten“, in denen die Luft nicht unter 20 Grad abkühlt, zunehmen. Gerade die Nächte sind aber wichtig, damit sich der Körper regenerieren kann.

Wie sollte sich München auf diese Veränderungen einstellen?

Das Wichtigste ist, vorausschauend zu handeln: schon heute darauf zu achten, dass Kaltluftschneisen nicht zugebaut werden, damit die Stadt trotz Hitze gut belüftet ist. Zudem sollten Grün- und Wasserflächen erhalten bleiben, damit Verdunstungskälte entstehen kann.

Dazu braucht es genug Wasser.

Darum wird es in Zukunft besonders wichtig sein, überschüssiges Wasser, zum Beispiel nach starkem Regen, nicht möglichst schnell wieder aus der Stadt hinauszuleiten, wie es in vielen Städten geschieht, sondern es für Hitzeperioden vorzuhalten. Wir sprechen da von der sogenannten „Schwammstadt“, die Wasser für den Bedarfsfall speichert.

Wer ist Ihrer Meinung nach besonders in der Pflicht, diese Themen anzugehen?

Wir alle. Die Folgen des Klimawandels können wir nur abmildern, wenn wir ganzheitlich denken und alle an einen Tisch holen: Das betrifft die klassische Stadtplanung, aber auch Verwaltungsbereiche wie Gesundheit oder Soziales, sowie die Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Problemstellungen sind so komplex und betreffen so viele Bereiche, dass wir nur gemeinsam gute Lösungen finden können. Das haben aber zum Glück schon viele Entscheider verstanden, auch in München.

 

Der Experte: Prof. Dr. Matthias Garschagen

Prof. Dr. Matthias Garschagen leitet den Lehrstuhl für Anthropogeographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen an der Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU). In seiner Forschung beschäftigt sich der Geograph vor allem mit der Abschätzung zukünftiger Risikotrends in Städten an der Schnittstelle von Klimawandel und gesellschaftlichen Veränderungen.

Bevor er nach München kam, lehrte Prof. Dr. Garschagen an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. Er ist Ehrenprofessor an der RMIT University in Melbourne und leitender Autor im Weltklimarat.

Was kann ein städtischer Versorger wie die SWM dazu beitragen?

Mit der Ausbauoffensive Erneuerbare Energien oder der Umstellung auf E-Busse wurden schon wichtige Weichen gestellt. Hier muss man voller Energie weitermachen. Auch gesellschaftlich ist in den letzten Jahren so viel ins Rollen gekommen. Umfragen zeigen, wie hoch die Bereitschaft in der Bevölkerung ist, das Thema Klimawandel noch entschlossener anzugehen. Da kann man also auf Unterstützung vertrauen.

Das klingt ermutigend.

Hinzu kommt, dass die SWM eine große Chance haben, die sie auch schon nutzen: Sie kommen sehr direkt an Bürgerinnen und Bürger heran. Obwohl es natürlich nicht Aufgabe der SWM ist, den Menschen in München nahezulegen, etwa über eine Dachbegrünung nachzudenken, könnten sie wertvolle Anstöße geben.

Inwieweit kann die Digitalisierung helfen, den Wandel voranzutreiben?

Sie kann beschleunigen, wo ein Wille zur Veränderung da ist, ein Allheilmittel ist sie nicht. Wartezeiten an Haltestellen lassen sich zum Beispiel schon heute vermeiden, indem ich vorher auf einer „Real Time“-App nachschaue, wann der nächste Bus kommt und damit meine Fahrt besser planen kann. Leider erreicht man mit solchen digitalen Lösungen nicht alle Menschen. Für die 85-Jährige ist es wahrscheinlich entscheidender, die Haltestelle so umzubauen, dass sie genügend Schatten bietet.

Können die Bürger*innen selbst einen Beitrag leisten, um München zukunftsfähiger zu machen?

Unbedingt. Eine Garageneinfahrt muss nicht zubetoniert, ein Vorgarten nicht vollständig mit Kies bedeckt sein. Hausdächer und Fassaden lassen sich begrünen, die Dächer mit Photovoltaik-Anlagen ausstatten. Jeder Einzelne kann den Umbau Münchens in eine nachhaltige und klimaresistente Stadt mit vorantreiben. Auch durch bewusste Nachbarschaftshilfe können die Verwundbarsten unterstützt werden. Gleichzeitig sollte jeder Haushalt auf plötzliche Notfallsituationen wie Stürme oder Hochwasser vorbereitet sein und zum Beispiel Konserven vorrätig haben. Das Thema Vorsorge wurde ja gerne verdrängt oder gar belächelt, aber in der Pandemie haben wir hier viel gelernt.

Wie kann man die Bürger*innen am besten auf diesen Weg mitnehmen?

Indem man das Problem herunterbricht und bearbeitbar macht. Wir Wissenschaftler sagen ja gern: „Alles ist wichtig, alles muss auf einmal angegangen werden.“ Aber in der Realität, in bestehenden städtischen Strukturen und Zwängen, stößt das natürlich an Grenzen. Darum ist es völlig legitim, wenn sich Verantwortliche fragen, wo der Schuh am meisten drückt, und dann Schritt für Schritt vorangehen.

Gibt es Städte, von denen München sich etwas abschauen könnte?

Kopenhagen zum Beispiel hat es geschafft, die Lebensqualität seiner Bewohner enorm zu steigern und Mobilität völlig neu zu interpretieren, mit Radschnellwegen und Fahrradparkhäusern. Osnabrück beteiligt seine Bürger intensiv an der Entscheidung über Grünflächengestaltung. Umgekehrt schauen aber auch viele auf München und die Lösungen, die hier gefunden werden, zum Beispiel für den Ausbau erneuerbarer Energien oder für CO2-neutrale Fernwärme und Geothermie.

Die geologischen Voraussetzungen in München und Umgebung sind da besonders gut. Unter der Stadt befindet sich ein riesiger Vorrat heißen Thermalwassers.

Ja, und zum Glück wurde auch erkannt, dass es nicht nur im Hinblick auf die Energiewende, sondern auch unternehmerisch sinnvoll ist, sie zu nutzen, trotz kostspieliger Bohrungen und Umbauten.

Es tut sich einiges. Mit welchen Gefühlen sehen Sie in die Zukunft?

Gesellschaftlich ist in den letzten Jahren so viel ins Rollen gekommen, dem sollten wir erstmal eine Chance geben. Auch politisch hat das Thema inzwischen einen ganz anderen Stellenwert als noch vor einigen Jahren. Und wir haben gar keine andere Wahl, als hoffnungsvoll und voller Energie weiterzumachen. Resignieren ist keine Option. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.

 

Wir bedanken uns für das Gespräch.

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