Interview mit dem Historiker Prof. Dr. Johannes Bähr
14.03.2024 I Der Historiker Prof. Dr. Johannes Bähr hat im Auftrag der SWM die Geschichte des Unternehmens von den Vorgänger-Institutionen bis in die jüngste Zeit hinein wissenschaftlich erforscht. Entstanden ist das Buch "NetzWerke. Die Geschichte der Stadtwerke München", das er gemeinsam mit einem Kollegen verfasst hat. Im Interview hat uns Herrn Prof. Dr. Bähr erklärt, was das Besondere an der Geschichte der SWM ist und was ihn bei seiner Recherche zum Buch überrascht hat.
Gespräch mit Prof. Dr. Johannes Bähr
Herr Prof. Dr. Bähr, wann beginnt die Geschichte der SWM?
Prof. Dr. Bähr: Wie bei anderen Stadtwerken reicht auch die Geschichte der SWM weit über die Gründung des Unternehmens hinaus zurück. Beispielsweise wurde 1511 das erste städtische Brunnhaus am Isarberg (Gasteig) errichtet, der Beginn der städtischen Trinkwasserversorgung. 1848 wurde das Schyrenbad als erste städtische Badeanstalt eröffnet, 1876 die erste damals noch private (Pferde-)Trambahnlinie. Die Forschung geht allgemein davon aus, dass die Geschichte von Stadtwerken mit der Bildung eines koordinierten Querverbunds zwischen unterschiedlichen kommunalen Versorgungsbetrieben beginnt.
Was ist für Sie also die Geburtsstunde der Stadtwerke München?
Ich datiere den Start der Geschichte der Stadtwerke München auf den 1. November 1899. An diesem Tag entstanden die beiden ersten städtischen Betriebe für die kommunale Versorgung, die Elektrizitätswerke und die Gasanstalt. Beide unterstanden der Aufsicht durch einen städtischen Verwaltungsausschuss. Wie in vielen Städten wurden die kommunalen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe in München 1939 zu „Stadtwerken“ zusammengeschlossen.
Was ist für Sie die Konstante in der Geschichte der SWM?
Dass es München in den 125 Jahren gelang, die immer wieder in Frage gestellte Eigenständigkeit seiner kommunalen Versorgung erfolgreich zu behaupten. Die Stadt ist damit gut gefahren.
Was ist für Sie das Besondere an der Geschichte der SWM?
Es ist besonders, wie sehr die Stadtwerke in einer so stark wachsenden Großstadt, deren Bevölkerung vielen Veränderungen unterlag, stets verwurzelt blieben. Auch heute, als europaweit agierender Konzern, zeichnen sie sich durch Bürgernähe aus.
Viele Unternehmen waren direkt oder indirekt in das NS-System verstrickt. Wie war das bei den SWM?
Die NS-Zeit wirft auch auf die Geschichte der SWM einen Schatten. Die städtischen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe gehörten zur Stadtverwaltung und waren dadurch wie der gesamte öffentliche Dienst an politische Vorgaben gebunden. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mussten Beschäftigte jüdischer Herkunft und politisch missliebige Mitarbeitende entlassen werden, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden von der Benutzung der Bäder und Trambahnen ausgeschlossen. Die Werkleiter blieben 1933 im Amt, obwohl sie nicht der NSDAP angehörten. Sie passten sich den Erwartungen der Machthaber an und traten später auch in die NSDAP ein. Während des Krieges setzten die Stadtwerke Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, darunter auch jüdische Zwangsverpflichtete, ein.
Was hat Sie bei Ihren Recherchen besonders überrascht? Was hätten Sie gar nicht erwartet?
Die Vielseitigkeit der Herausforderungen, die sich bei der Versorgung Münchens immer wieder stellten und stets bewältigt wurden. Von den Begehrlichkeiten des Landesherrn, unter dem die Finanzen der Residenzstadt litten, den Cholera- und Typhus-Epidemien des 19. Jahrhunderts, den Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts bis zu den Zerstörungen durch die Luftangriffe. Später entstanden die großen Herausforderungen vor allem durch Veränderungen des Markts, das starke Wachstum des Energiebedarfs, die Liberalisierung und beginnende Globalisierung der Versorger und nicht zuletzt die Umstellung auf erneuerbare Ressourcen.
Worüber haben Sie bei Ihren Recherchen am meisten schmunzeln müssen?
In den Akten zur Geschichte der SWM ist auch manches dokumentiert, das uns heute als amüsant oder abseitig erscheint. So sollen in der Zeit der Gaslaternen die Anzündungsleitern häufig zum „Fensterln“ in den Häusern benutzt worden sein.
Herr Prof. Dr. Bähr, vielen Dank für das Interview!
Mehr Infos zu Prof. Dr. Bähr
Johannes Bähr, geboren 1956, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg im Breisgau und München, wurde 1986 zum Dr. phil. promoviert und habilitierte 1998 an der Freien Universität Berlin. Er lehrt an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. Außerdem hat er zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zur Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte veröffentlicht, u. a.:
- Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte, München 2009 (Mitautor);
- Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens, München 2013 (Mitautor);
- Munich Re. Die Geschichte der Münchener Rück 1880-1980, München 2015 (Mitautor);
- Werner von Siemens 1816-1892. Eine Biografie, München 2016;
- „NetzWerke. Die Geschichte der Stadtwerke München“ (Mitautor), München/Berlin 2017.
- Die Stadtwerke im Zeichen des Hakenkreuzes, in: 150 Jahre Mannheimer Energien, München 2023, S. 215–266.
Prof. Dr. Johannes Bähr
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