Stadtentwicklung

Wie ist München in Zukunft unterwegs?

16.11.2020 | Mobilitätsexperte Prof. Dr. Stephan Rammler sagt: Die Corona-Krise kann viele gute Entwicklungen beschleunigen – wenn wir jetzt die richtigen Prioritäten setzen. Welche Prognose der Zukunftsforscher für Münchens öffentlichen Nahverkehr, Tourismus und Co. abgibt, lesen Sie im Interview.

Interview mit dem Mobilitätsexperten Prof. Dr. Stephan Rammler

Herr Dr. Rammler, wie wird unsere Stadt nach Corona aussehen, wie werden wir uns in ihr bewegen?

Es mag verwundern, dass ein Zukunfts­forscher so etwas sagt, aber im Moment wissen wir so wenig wie noch nie über die Zukunft. Alle Dynamiken, besonders die ökonomischen und politischen, sind derart unkalkulierbar, dass wir allenfalls klug und demütig spekulieren können.

Lassen Sie uns das tun. Stichwort Mobilität – da hat sich ja sehr schnell schon sehr viel verändert.

Allerdings. „Schnell“ trifft es aber nicht ganz. Durch die Pandemie haben wir ei­nen rasenden Stillstand erlebt: Wir selbst haben uns kaum noch oder sehr viel weniger bewegt. Um das soziale Distanz­gebot zu leben, haben wir die Dinge des täglichen Bedarfs zu uns kommen lassen. Waren, Dienstleistungen, Information – all das wurde uns geliefert. Auch zum Arbeiten mussten viele nicht mehr vor die Tür. Die nötige digitale Infrastruktur war ja da, zu Hause.

Ein Segen. Oder nicht?

Einerseits schon, aber eigentlich wider­spricht dieser rasende Stillstand dem, was eine freiheitliche, offene und demo­kratische Gesellschaft ausmacht: Urba­nität und eben auch Mobilität. Es ist essenziell für uns, dass wir an Orte ge­langen, an denen wir wichtige Erfah­rungen machen können, an denen wir tätig werden können, für uns und für andere. In Kontakt treten, miteinander „verkehren“ – das ist ein wichtiges sozi­ales Grundmotiv.

Bis auf Weiteres ist das nicht mehr uneingeschränkt möglich.

Großstädte, Millionenstädte wie Mün­chen sind eigentlich geradezu Mobilitäts­maschinen. Nun ist Sand ins Getriebe gekommen, ja. Aber wir Menschen brauchen die Stadt, brauchen die Bewe­gung. Gerade darum ist es so wichtig, aus dieser Krise zu lernen, die „stillere“ Zeit zu nutzen und durch das Brennglas der Pandemie zu schauen.

Was können wir da sehen?

Wie in anderen Bereichen auch gab es da erst mal einen Rollback, eine Rückwärtsbewegung: Der öffentliche Verkehr verlagerte sich ins Individuelle, in den Schutzraum des privaten Autos. Interessanterweise wurde aber auch ein anderes, sehr viel nachhaltigeres individuelles Verkehrsmittel plötzlich wieder sehr stark nachgefragt: das Fahrrad.

Das Nachsehen hatte der nachhaltige öffentliche Nahverkehr…

Auf den ersten Blick trifft das soziale Dis­tanzgebot im Kern genau die Verkehrs­träger, die zukunftsfähige Mobilität mög­lich machen. Aber aus dieser Erfahrung können wir etwas Entscheidendes lernen: Ein urbanes Verkehrssystem der Zukunft muss nicht nur nachhaltig und postfossil sein, sondern auch resilient, das heißt wi­derstandsfähig gegenüber Katastrophen und Krisen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Eines sagt uns die Situation gerade sehr deutlich: Kapiert endlich, dass die Welt nicht stabil ist, sondern sich permanent verändert. Eine Pandemie ist da leider nur ein Szenario von vielen. Auch alles, was wir digitalisieren, ist angreifbar – vom digitalen Virus. Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie wir unsere Städte sicher halten und noch sicherer machen können.

Aus München kannte man bislang zu allen Tageszeiten volle U-Bahnen und Busse; mit Carsharing, E-Rollern und Sammeltaxis gab es immer mehr, immer vielfältigere Möglichkeiten, urban unterwegs zu sein – und jetzt?

München ist eine Stadt, die in Sachen neue Mobilität sehr gut unterwegs ist. Hier wurde schon immer viel Wert darauf gelegt, dass es funktionierende, leistungs­fähige öffentliche Verkehrssysteme gibt – beste Voraussetzungen, um mit dieser Kri­se umzugehen. Die SWM haben die Frage der Daseinsvorsorge nie aus dem Blick verloren und handeln sehr agil – auch das wird sich auszahlen. Außerdem ist Mün­chen eine sehr schöne Stadt.

Was hat das mit dem Verkehr der Zukunft zu tun?

Nun, der Tourismus wird ein massives Problem bekommen und zwar dauer­haft. Er wird mit am meisten leiden unter der strukturellen Unsicherheits­erfahrung, die wir jetzt alle machen. In­ternationaler Tourismus wird sehr viel schwieriger werden und davon werden die nationalen Destinationen massiv profitieren. München mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten, seinem Englischen Garten, das Umland mit sei­nen Bergen und Seen, das ist eine riesige Chance – wenn man jetzt überlegt, wie man flexible und widerstandsfähige Tourismus­infrastrukturen baut. Nutzt die Schönheit eurer Stadt!

Müsste man Städte heute eigentlich nicht völlig anders planen, damit sie wirklich zukunftsfähig bleiben?

Schön wär’s, wenn das so einfach ginge, aber natürlich kann man bei den Stadttei­len, die heute noch neu entstehen, die ent­scheidenden Zukunftsfragen stellen: Wie schaffen wir es, dass diese Quartiere gut angebunden und sozial gerecht sind? Wie bauen wir Häuser, die möglichst wenig Energie verbrauchen, im Sommer kühl und im Winter warm sind? Wie bringen wir noch mehr Grün in die Stadt?

Die SWM investieren in zahlreiche Projekte, die aus München eine „Smart City“ machen sollen, eine intelligente, vernetzte, zukunftsweisende Stadt.

Wir brauchen dringend neue, nachhaltige urbane Systeme und dezentrale, flexible Energiesysteme – um eine klimagerechte Gesellschaft zu schaffen. Die Corona-Krise werden wir vielleicht irgendwann in den Griff bekommen, die Klimakrise dagegen wird uns permanent begleiten und her­ausfordern. Nehmen wir diese Herausfor­derung doch endlich an.

Zukunftsforscher Dr. Stephan Rammler

Prof. Dr. Stephan Rammler, Jahrgang 1968, leitet das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. Als Forscher und Autor treibt ihn u.a. der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Digitalisierung um.

Sein aktuelles Buch (zusammen mit Felix Sühlmann-Faul) heißt „Der blinde Fleck der Digitalisierung“ (oekom). Zum Thema Mobilität erschienen seine Bücher „Volk ohne Wagen“ und „Schubumkehr“.

Verkehr der Zukunft:

So sieht die neue Mobilität in München aus

Die Stadtwerke München spielen bei der Stadtentwicklung eine zentrale Rolle und gestalten den Wandel aktiv mit – unter anderem mit Energie- und Mobilitätskonzepten, die schon heute den Alltag der Münchner*innen erleichtern. Diese sechs Punkte aus dem Stadtentwicklungskonzept für München sind bereits heute Realität:

  • Bis 2030 soll die MVG-Busflotte weitestgehend elektrifiziert sein. Seit Juli 2020 sind die neuen E-Busse im Testeinsatz – auf der Museenlinie 100 zwischen Hauptbahnhof und Ostbahnhof.
  • Aktuell gibt es im Stadtgebiet 550 Ökostrom-Ladestationen und über 1.100 öffentliche Ladepunkte. Damit führt München das bundesweite E-Ladesäulen-Städteranking an. Hamburg fiel auf Platz zwei zurück.
  • Alle Münchner U- und Trambahnen fahren schon jetzt mit 100 Prozent Ökostrom. Die MVG baut das Angebot laufend weiter aus.
  • Mit den TIER E-Scootern durch die Stadt düsen können alle, die die App "MVG more"  auf dem Smartphone haben. Die elektrischen Flitzer erweitern das Mobilitätsangebot der MVG seit Juli 2019.

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